Jörg Huber
Tritt man vor die Bilder Han Fengs, die deutlich unterschiedliche Formate aufweisen, muss der Betrachter sich erst einmal einstellen: eine bestimmte Distanz wählen, um einen Über-Blick zu gewinnen und einen Eindruck zu erhalten. Im selben Moment jedoch locken die Bilder durch ihre Stille und Zurückgezogenheit zur Annäherung. Man wird angezogen, verführt und will das Bild aus der Nähe, in seiner materialen Gegenwart erfahren. Man will die Bilder wahrnehmen und gleichzeitig spüren, der Blick will sehen und tasten. Mit dieser ästhetischen Erfahrung eröffnet sich das wechselseitige Spiel von Immaterialität und Materialität, von luzider Transparenz und starker Präsenz, von Ferne und Nähe. Dieses Oszillieren entzieht einen den Boden unter den Füssen, man gleitet ins Grundlose.
In diesen Augenblicken scheinen die Bilder zu flimmern und sich in Malerei aufzulösen. Bewirkt wird dieser Entzug des Bildkörpers durch die betont subtile Weise des Farbauftrags. Die in Weiss-Grau-Schwarz-Tönen gehaltenen Acryl-Farben sind zarthäutig und transparent auf den Grund gesetzt, so als ob das Bild stets erst im Erscheinen wäre und droht auch gleich wieder zu verschwinden in das Abgründige seines Grundes. Malerei legt sich als Schleier über das Bild. Und erneut sind wir in einem Spiel: der Ver- und Entschleierung, der Einfühlung und der Unnahbarkeit.
Farbe erscheint einerseits wie Lasur, die sich als ein hauchdünner Film über etwas legt, was vorher gesetzt worden ist und andererseits wie eine Grundierung für etwas, das noch gesetzt werden wird. Malerei produziert damit ein Nicht-mehr oder Noch-nicht: eine Zwischenlage oder eine Schwelle – ein Zögern vielleicht auch, oder ein Innehalten. Das Bild exponiert in diesem Übergang eine Art Gefährdung, seine Gefährdung: seine prekäre Anwesenheit als Bild in einer Welt der laut grellen Manifestationen visueller Kultur.
Die Farben sind nuanciert aufgetragen mit leisem Pinselstrich, präzis in den formalen Abgrenzungen. Hier zeigt sich die Disziplin einer minutiösen Genauigkeit, die Faszination an der Klarheit der Darstellung. Die Gegenständlichkeit ist eindeutig, das Bild stellt etwas dar, der Künstler weiss, was er macht. Gleichzeitig aber, als ob dieses Zeigen sich selbst zeigen möchte, verselbständigt sich der Farbauftrag an verschiedenen Stellen. Tropfenartig löst die Farbe sich aus der Form und fliesst nach unten in ein Offenes, als ob das Bild an diesen Stellen verwundet wäre. Es ereignet sich „etwas“, Zufälliges geschieht; die Malerei entzieht sich dem Zugriff des Malers. Der Künstler setzt als Autor des Bildes etwas in Gang, das sich mit dem Geschehen des Bildes freisetzt und sich seiner Verfügungsgewalt entzieht. Das Gemälde ist Schauplatz dieser Er- und Entmächtigung: Ort eines ästhetischen Geschehens.
Jedes Bild ist Repräsentation. Dargestellt sind Dinge: ein Lüftungsrohr, eine Treppe, eine Jalousien, ein Ventilator, ein Flugzeug, ein Kamin, ein Bus… Die Dinge sind losgelöst aus jeder Kontextualität und im Bild freigestellt. Es sind unspektakuläre Dinge, die unspektakulär in Szene gesetzt werden und die gerade dadurch, im Bild, spektakulär, d.h. bemerkenswert werden. Han Feng geht es nicht um das Ding, den Gegenstand als solchen, es geht um das Ding und den Gegenstand im Bild und als Bild.
Diese Dinglichkeit bestimmt auch die Bilder als Bilder, die sowohl Dinge wie auch Zeichen sind. Sie sind nicht durch einen Rahmen gefasst, sie erscheinen „unfertig“ und betonen ihre Hergestelltheit. Es sind aufgespannte Leinwände, die an den Kanten ihre Umfaltung und ihre Schmalseiten auf der massiven Holzverspannung sicht- und erfahrbar machen. Der Künstler stellt alles selber her: Handwerk. Er wählt eine grobe Leinwand, deren starke noppenartige Struktur die Materialität des Grundes betont, auf den sich die luzide Malerei legt. Die Taktilität dieser Oberflächenaffektion ist unmittelbar spürbar. Sie vermittelt zusammen mit der Objekthaftigkeit des Bildes eine Stabilität des Bildes in seiner Präsenz, im spannungsvollen Verhältnis zur Flüchtigkeit der Malerei. Eine weitere Dimension dieser Sensualisierung bewirkt das Licht, das sich in der Struktur der Leinwandoberflächen bricht und den Eindruck erweckt, als ob die Bilder von hinten beleuchtet würden – so wie dies Feng bei einigen seiner Objekten im Raum bewusst inszeniert – Objekte, die wie in den Raum getretene Bilder wirken.
Die Bilder sind manifest als Körper; sie eröffnen Flächen, Felder und Räume. Die Treppe führt in die Tiefe und nach oben und bleibt gleichzeitig Fläche: der Raum ist Fläche und die Fläche Raum. Das Rohr kommt von links aus dem Bildgrund, nimmt Raum ein, führt mit zwei rechtwinkligen Knickungen durchs Bild und rechts wieder in den Grund. Das Flugzeug wird in seiner unermesslichen Grösse klein und passt sich in das Bildgeviert ein, um dieses gleichzeitig auszumessen, indem es ausgreift: Flugrumpf und Flügel strecken sich zu langen dünnen Elementen: das Objekt wandelt sich zum Formelement, das die Bildfläche in vier Räume teilt. Die Verkehrsbusse ihrerseits schichten sich auf wie Torten, zu Türmen, zu eigenmächtigen Gebilden, die sich den Treppen angleichen. Und die Menschen? Sie stellen die Dinge her, benutzen sie und bleiben aber ausserhalb der Bilder – nur manchmal, punktuell hinterlassen sie ephemere Spuren eines Gebrauchs, an den Stellen der von Han Feng spärlich verwendeten Buntfarben. Eine kleine Rostspur etwa, die eine Stelle am Lüftungsrohr markiert. Nicht mehr.
Was denkt man, wenn man vor diesen Bildern steht? Man denkt etwas, das noch nicht formuliert ist und noch keine Bedeutung hat. Man denkt Empfindungen, und man denkt, dass die Dinge und die Bilder unter uns sind und mit uns agieren und uns ansprechen. Man denkt mit dem Körper und denkt, dass man in den Bildern ist, und diese um uns herum. Man denkt mit den Bildern, in Bildern. Und man erfährt sich empfindend und denkend: Ästhetik der Bilder ist Ästhetik der Existenz.